|
leseprobe »rachegöttin«
„Halt still!“ Christine Pfanns wurde zunehmend ungeduldig. Die Metallbacken rutschten immer wieder von den Schläfen ab. Die Kaufung warf ihren Kopf von links nach rechts und gurgelte dabei dumpf vor sich hin. Dazu kam, dass ihre Haut durch den Angstschweiß glitschig war. Beim nächsten Delinquenten musste sie besser vorsorgen und das Körperteil, das zusammengepresst werden sollte, fixieren. Ermahnungen waren nutzlos. Die blöde Kuh würde sicher nicht freiwillig zusehen, wie ihr Kopf zerquetscht würde. Allerdings hatte Nemesis nicht vor, gleich die Schädelknochen zum Bersten bringen. Schließlich wollte sie die Methode mit den glühenden Kohlen anschließend auch noch ausprobieren. Aber das konnte sie der Kaufung ja schlecht auf die Nase binden.
Sie sah sich im Raum um. Der altertümliche Rollschrank neben dem Schreibtisch sah stabil aus. Christine Pfanns legte das Metallmaul auf den Boden, rollte den Schrank in die Mitte des Zimmers und schob anschließend den Stuhl mit der gefesselten Therapeutin davor. Dann drehte sie mehrere Runden um Stuhl und Schrank und führte das Paketband dabei akkurat von der Stirn über die Ohren bis zum dunklen Holz, nach hinten, dann wieder nach vorn und wiederholte die Umkreisung noch zweimal.
Jetzt klebte der Kopf unbeweglich an der Vorderseite des Rollschranks, das Kinn ragte in die Luft. Christine Pfanns beugte sich von oben über die geradeaus starrende Frau und zwinkerte, aber diese zwinkerte nicht zurück. Es sah aus, als trüge sie ein braun glänzendes Stirnband und darunter einen Mundschutz aus ebensolchem Material.
„Das hätten wir. Nun wird es aber Zeit. Es ist schon nach neun.“ Nemesis holte sich die ‚Kopfpresse’ vom Fußboden.
„Die beste Wirkung erzielt man sicher an einer Stelle, an der die Knochen dicht unter der Oberfläche liegen.“ Fast zärtlich glitt die Hand über die Augenbrauen, fuhr dann seitlich über die hervorstehenden Wangenknochen und umrundete das Kinn. Andrea Kaufungs Haut war kalt und feucht. Sie atmete röchelnd durch die Nase. „Fangen wir an. Ich denke nicht, dass du bereust. Dazu gehört Einsicht, und du glaubst noch immer, ich sei eine paranoide Persönlichkeit. Pah!“ Christine Pfanns schob die Backen des Werkzeugs auseinander und setzte es links und rechts an den Wangenknochen an. Dann begann sie, ganz langsam an der Schraube zu drehen und beobachtete dabei das Gesicht ihrer Delinquentin. Zuerst röchelte die Therapeutin schneller. Wenige Sekunden später weiteten sich ihre Augen und schienen sich dann nach vorn zu wölben. Das über den Mund geklebte Paketband wurde heftiger nach innen gesogen und blähte sich dann wieder schnell nach außen.
Ein dünnes rotes Rinnsal sickerte unter der linken Hälfte der Schraubzwinge hervor und rann über die Wange in Richtung Hals. Im unbarmherzigen Licht der Neonröhre wirkte das Blut fast schwarz. Noch eine Umdrehung der Stellschraube. Die Augen zeigten jetzt viel Weiß und der Atem kam stoßweise, fast hechelnd aus den Nasenlöchern der Delinquentin.
Gemächlich drehten Christine Pfanns Finger die Flügelmutter. Sie hatte das Gefühl, im Kopf der Frau gerate etwas in Bewegung. Noch – eine – halbe – Um –
Andrea Kaufung machte einen schnappenden Atemzug und zuckte. Dann sackte ihr Körper zusammen, soweit es die Fesseln zuließen. Die Therapeutin war ohnmächtig geworden. Übertreib es nicht, flüsterte die Stimme in Christine Pfanns Kopf. Du willst doch nicht, dass sie gleich hier hopsgeht!
„Nein, nein. Ich hör dann jetzt auf. Fürs Erste.“ Christine Pfanns löste die Schraubzwinge. Die zum Vorschein kommende Haut leuchtete hellrot und hatte das geriffelte Muster der Metallzähne angenommen. Mit einer Papierschere vom Schreibtisch der Therapeutin trennte die Frau den Körper von Schrank und Stuhl und ließ das schlaffe Ding zu Boden sacken, bevor sie das Paketband vom Rollschrank abzog.
Das war bisher wunderbar verlaufen, aber der schwierige Teil kam jetzt. Andrea Kaufung war nicht besonders groß und ziemlich schlank. Und trotzdem würde es eine Heidenarbeit werden, sie über den finsteren Hof in den Kofferraum zu befördern, um den leblosen Körper dann in Nemesis’ Waldhaus zu transportieren, den Weg durch den Wald nicht zu vergessen.
Christine Pfanns setzte sich an den Schreibtisch der Therapeutin und dachte eine Weile darüber nach, ob sie das Auto der Frau einfach hier auf dem Hof stehen lassen konnte. Dabei fiel ihr ein, dass sie keine Ahnung hatte, ob es zu Hause bei Andrea Kaufung jemanden gab, der sie vermissen würde.
Das erste Problem würde der Transport des schlaffen Körpers zum Fahrzeug sein. Da sie ihr eigenes Auto ein paar Querstraßen weiter abgestellt hatte, musste sie es entweder hierher holen, was die Gefahr mit sich brachte, dass dies irgendjemandem auffallen würde, oder mit dem Auto der Kaufung an eine geschützte Stelle fahren und die Frau dort umladen. Nemesis entschied sie sich für die Umladevariante. Vorher würde sie noch die Schränke der Therapeutin durchsuchen, um zu sehen, ob sich eine Akte über ihren eigenen Fall fand.
Die Frau auf dem Fußboden begann zu röcheln und Christine Pfanns ging zu ihr, um sie für den Abtransport zu fesseln. Die Druckstellen an den Wangen hatten sich inzwischen blaurot verfärbt. Gelbliches Gewebswasser sickerte heraus. Andrea Kaufungs Lider flatterten, während ihre Hände auf dem Rücken verklebt wurden, aber sie öffnete die Augen nicht.
„So, meine Liebe, das hätten wir. Die Akte Pfanns nehmen wir mit.“ Christine Pfanns hielt die Mappe hoch und verstaute sie dann in ihrer Tasche. „Vielleicht beschert uns die Lektüre noch Einsichten in deinen Charakter.“ Ein prüfender Blick durch den Raum. Sah alles ganz normal aus. Vielleicht hatte sie noch irgendwo Fingerabdrücke hinterlassen, aber erstens gab es momentan keinen Verdacht, dass überhaupt etwas passiert war, zweitens würden die Polizisten bei der Suche Hunderte von fremden Abdrücken finden – schließlich gingen hier täglich Patienten ein und aus – und drittens gab es keine Vergleichsmöglichkeit, da ihre Abdrücke nirgends gespeichert waren, geschweige denn, dass sie überhaupt verdächtig war. Vor dem Einladen würde sie ihre graue Perücke und die Brille aufsetzen. In dieser Verkleidung und bei Nacht würde niemand sie erkennen.
Christine Pfanns hockte sich hinter Andrea Kaufungs Kopf, packte sie unter den Achseln und begann, die Frau Schritt für Schritt in Richtung Tür zu ziehen. Auf dem Weg dahin dachte sie über die nächste Strafe für die unartige Therapeutin nach. Tormentum ignis – die glühenden Kohlen. Es war spät, die Geschäfte hatten schon geschlossen. Würde es an einer Tankstelle im November noch Grillkohle geben? Nemesis hatte keine Lust, die Strafe bis morgen aufzuschieben. |
|